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Gruselgeschichte: Haut wie Horror

Haut wie Horror
4.1
(70)

Wisst ihr, wie es ist, einen wahren Horror zu haben? Wenn man gesund ist und keinerlei Leiden verspürt und tagtäglich das Leben neue Überraschungen parat hält, ja – dann kann man nicht wissen, wie der wahre Horror aussieht.
Ich habe in meinem Leben immer so gelebt, wie man nur leben kann. Habe nie so richtig auf meine Gesundheit geachtet. War weit entfernt davon, über Krankheiten nachzudenken. Ich habe keinen Krebs oder dergleichen. Ich habe keine Krankheit, die mich dahinrafft oder mich nicht sterben lässt, denn das wäre eine Erlösung.

Ich sehe morgens in den Spiegel. In mein müdes Gesicht. Abgekämpft, traurig, schmerzverzerrt oder vielmehr geschunden vom Schmerz. Nein – es ist keine lebensbedrohliche Krankheit. Es ist vielmehr ein Fluch. ES will, dass ich weiterlebe. Es will, dass ich weiter leide. Wie gesagt – der Tod wäre eine Erlösung.

Immer wenn ich auf meinen Körper sehe, überkommt mich ein Gefühl der Abscheu. Es sind keine Narben. Ich kann es kaum beschreiben, denn so schrecklich ist der Anblick, dass ich es nicht mehr wage, in kurzen Klamotten vor die Tür zu treten.
Entweder juckt es stark oder es brennt, als wenn ich soeben über den Asphalt gerutscht wäre. Wie Schürfwunden, die meine Beine, Arme und meinen Rücken befallen haben. Es tut so weh. Wenn es nicht schmerzt, fängt es an zu jucken, da sich immer wieder neue Haut bilden muss. Die Haut ist mein größtes Problem. Ich kann es nicht mehr aushalten. Es schuppt. Es juckt – beginne zu kratzen, immer wieder und wieder. Dann der brennende Schmerz – Blut – Schuppen, noch mehr Schuppen. Ich halte es nicht mehr aus. Wie ein Fisch, der mit einem Filetiermesser bearbeitet wird, sehe ich meine alte Haut in kleinen Fetzen zu Boden fallen. Tränen ergreifen Besitz von meinen Augen.

Den Spiegel versuche ich demnächst zu meiden. Ich sehe mir meine Fotos an. Zeiten, in denen es mir besser ging. Zeiten der Sorglosigkeit. Ich kann mich nicht mehr richtig konzentrieren. Beim Betrachten der Bilder fängt mein Rücken wieder an zu brennen; abermals liegen Schuppen auf dem Teppich. Ich nehme rasch einen Handfeger und beseitige diese mit einer geübten Handbewegung.

Das Schlimmste ist, dass ich mit niemanden darüber reden kann. Es ist ein Fluch, dem ich nicht mehr standhalten kann. Ich versuche es – doch wie lange soll ich dieses Martyrium noch aushalten?

Ich gehe unter die Dusche. Das warme Wasser tut meiner Haut gut und ich kann die immer nässer werdende Haut leicht abstreifen. Die Seife tut ihr übriges dazu. Wenn ich das Wasser so auf meine Haut prasseln lasse, kann ich wieder klar denken. Es ist eine Befreiung meiner Sinne. Die nassen Schuppen verschwinden im Abflussrohr – die roten Brandherde auf meiner Haut jedoch bleiben erhalten und fangen wieder an, neue Haut zu bilden. In drei Tagen würden sie wieder anfangen, Schuppen abzuwerfen.
Ich blicke zu Boden, während das Wasser weiter meine Haut berührt. Ich will hier eigentlich nicht fort. Es tut mir so gut. Die Dusche ist mein zweites Zuhause.
Der Vorhang gleitet beiseite. Ich nehme mir ein Handtuch und trockne mich ab.
Bald würde ich wieder meinen Wohnwagen verlassen müssen. Man würde mich früher oder später sowieso holen kommen.
Wisst ihr – es ist eben nicht leicht, damit zu leben. Es kommt mir tatsächlich so vor, als wenn es ein Fluch wäre. Doch was habe ich getan? Habe ich irgendwem ein Unrecht angetan? Warum diese Strafe?

Ich ziehe mir lediglich eine Hose an. Diese Leute wollen es ja sehen. Sie wollen den Schrecken sehen. Komischerweise sind mein Kopf und große Teile der Brust davon verschont geblieben. Meine Hände sind auch noch recht normal geblieben.
Der Rücken ist das schlimmste. Die Beine auch. Rote Flecken, wo einst Schuppen waren. Doch die Leute wollen es sehen! Schließlich bezahlen sie dafür. Sie fangen immer wieder an zu gaffen und Angstschreie auszustoßen, wenn ich die Arena betrete. Ich sehe panische Gesichter, wenn ich meinen Oberkörper vollkommen unbekleidet offenbare.

Wenn diese Flecken nicht wären, würde ich es mal wagen, einen anderen Menschen zu lieben. Ihm näher zu kommen. Die Einzigen, zu denen ich eine menschliche Beziehung aufgebaut habe, sind die anderen “Monster” oder eben die Zirkusleute. Clowns, Akrobaten und Tierbändiger. Sie haben schon viel gesehen und erschrecken nicht mehr, wenn sie meinen Oberkörper sehen.

Ich bin noch jung. Habe ein jugendliches Gesicht. Schwarze, schulterlange Haare und strahlend weiße Zähne. Wäre meine Haut so perfekt wie meine Zähne, dann wäre ich nicht hier. Es ist ein Horror, mit einer solchen Haut zu leben. Schuppen überall – das ständige Brennen, der Schmerz – das Blut.

Doch der wahre Horror ist der, dass es Menschen immer wieder in den Bann zieht, mein Unglück zu sehen und mich voller Faszination anzustarren. Ich hasse ihr Starren. Mit jedem Tag wird es unerträglicher. Mein Gott… ich gehe zum Wohnwagen zurück – mein Blick fällt auf eine Axt. Ich hebe sie auf… und mit einem hasserfüllten Gesicht betrete ich zum zweiten Mal an diesen Abend die Arena…

CC-BY-SA 4.0 | Geschrieben von unseren Community Mitglied Bunnytorbensfotofabrik.de
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