Gruselgeschichte: Der Schattenmann

In einem abgelegenen Dorf, tief in den Wäldern, erzählte man sich eine düstere Legende über eine mysteriöse Gestalt, die nur als „Der Schattenmann“ bekannt war. Niemand wusste genau, wer oder was er war, aber jeder im Dorf hatte Angst vor ihm.

Die Legende besagte, dass der Schattenmann in den dunkelsten Nächten auftauchte, um unartige Kinder zu bestrafen, die ihre Eltern nicht gehorchten. Doch niemand hatte ihn jemals wirklich gesehen oder gar überlebt, um die Geschichte zu erzählen.

Eines Tages zog eine Familie, die Smiths, in das Dorf. Sie hatten zwei Kinder – Emma und Timmy. Die Smiths waren freundliche Menschen und wurden schnell Teil der Dorfgemeinschaft. Doch die Geschwister hörten schon bald von den Geschichten über den Schattenmann und wurden neugierig.

Eine unheimliche Atmosphäre schien das Dorf zu umgeben, als die Nacht hereinbrach. An diesem Abend begann ein dichter Nebel aufzusteigen, der das Dorf in eine geisterhafte Stille hüllte. Die Bewohner kauerten sich ängstlich in ihren Häusern zusammen, als sie hofften, dass der Schattenmann nicht auftauchen würde.

Emma und Timmy konnten jedoch ihre Neugier nicht bezwingen. Sie beschlossen, sich im Schutz der Dunkelheit heimlich aus dem Haus zu schleichen und den Schattenmann zu suchen, um herauszufinden, ob die Geschichten wahr waren. Sie durchstreiften den Wald und folgten den verworrenen Pfaden, die sie tiefer in das Unbekannte führten.

Plötzlich hörten sie ein leises Flüstern, das aus den Schatten zu kommen schien. Es war ein unheimliches Lachen, das ihnen einen Schauer über den Rücken jagte.

„Kommt näher, meine kleinen Freunde“, flüsterte die Stimme, „Ich weiß, dass ihr mich sucht.“

Emma und Timmy blieben stehen, unfähig, ihre Füße zu bewegen. Die Furcht ergriff von ihnen Besitz, als sich die Gestalt des Schattenmanns aus der Dunkelheit erhob. Er war groß und düster, mit leuchtenden Augen, die wie glühende Kohlen brannten. Sein Lächeln war unheimlich und voller böser Absichten.

„Ich habe auf euch gewartet“, fuhr der Schattenmann fort. „Ihr seid neugierig, nicht wahr? Ihr wollt wissen, was mit den unartigen Kindern passiert, die nicht gehorchen?“

Emma und Timmy nickten stumm, zu ängstlich, um ein Wort zu sagen. Der Schattenmann lächelte noch breiter und begann eine schreckliche Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte von Kindern, die von ihm geholt wurden und niemals zurückkehrten. Ihre Schreie hallten in den Wäldern wider, als er sie in seine finstere Welt brachte, in der sie für immer gefangen waren.

Die Geschwister fühlten sich wie erstarrt, während der Schattenmann ihnen die Gräuel seiner Welt schilderte. Doch plötzlich, als er gerade inmitten seiner Geschichte war, geschah etwas Unerwartetes. Der Schattenmann wandte seinen Blick abrupt zur Seite und erstarrte. Sein gruseliges Lächeln verschwand und wich einem Ausdruck der Verwirrung.

„Das ist unmöglich“, murmelte er. Emma und Timmy folgten seinem Blick und erstarrten selbst vor Entsetzen. Dort, im Dickicht der Bäume, standen die Dorfbewohner, mit Fackeln und Waffen bewaffnet. Sie hatten sich zusammengeschlossen, um ihre Kinder zu retten und dem Schattenmann ein Ende zu setzen.

Der Anführer der Dorfbewohner trat vor und sprach mit fester Stimme:

„Dein Spiel ist vorbei, Schattenmann. Wir werden dich nicht länger terrorisieren lassen.“

Zu aller Überraschung antwortete der Schattenmann mit einem traurigen Ton:

„Ihr wisst nicht, was ihr tut. Meine Welt ist grausam, aber sie ist meine einzige Existenz. Wenn ich gehe, werdet ihr die wahren Schatten eurer Herzen kennenlernen.“

Die Dorfbewohner zögerten einen Moment, aber dann setzten sie entschlossen ihren Plan in die Tat um. Die Fackeln wurden angezündet, und der Schattenmann wurde von den Flammen umhüllt. Ein markerschütterndes Schreien erfüllte die Nacht, als der Schattenmann langsam verschwand.

Emma und Timmy konnten nicht hinsehen. Sie fühlten sich hin- und hergerissen zwischen Erleichterung und Mitleid für die grausame Gestalt. Doch bevor der Schattenmann endgültig verschwand, drehte er sich zu den Geschwistern um und flüsterte leise:

„Ihr habt euer Schicksal besiegelt. Bald werdet ihr die Wahrheit erfahren.“

Die Dorfbewohner atmeten erleichtert auf, doch ihre Freude währte nicht lange. Denn als sie ins Dorf zurückkehrten, erwartete sie eine grausame Entdeckung. Alle Häuser waren leer, die Dorfbewohner waren verschwunden, und das Dorf war verlassen. Emma und Timmy waren die einzigen, die zurückblieben, und sie realisierten, dass der Schattenmann Recht gehabt hatte.

Das wahre Grauen war nicht er selbst, sondern die Dunkelheit in den Herzen der Menschen. Das Dorf hatte sich gegenseitig ausgelöscht, und nur die Geschwister waren übrig geblieben. Mit Tränen in den Augen und einer unbegreiflichen Last auf ihren Schultern, schworen Emma und Timmy, niemals zu vergessen, was sie gelernt hatten.

Der Schattenmann mochte verschwunden sein, aber die wahren Schatten lauerten immer noch in den tiefsten Abgründen der Menschheit. Und so blieben sie zurück, als stille Zeugen der grausamen Realität, die sie nie mehr verlassen würde.

Doch die Frage blieb: Wo war der Schattenmann wirklich hingegangen? War er wirklich besiegt worden oder hatte er lediglich seine Gestalt gewandelt, um weiterhin im Verborgenen zu wirken? Das wahre Grauen, so wurde ihnen bewusst, war vielleicht noch lange nicht vorbei …

Lizenz: CC-BY-SA | Autor: Laurenz Mayr aus Wien