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Wahre Gruselgeschichte: Die Scheitelhütte

Der Minglefluch
3.8
(6)

ch war damals ein junger Teenager und lebte mit meinen Eltern im Westfälischen, als wir einmal meine Großtante Hedi in Ruhpolding besuchten. Die Familien meiner Eltern stammen ursprünglich aus Ostpreußen bzw. Böhmen und einige sind in den Wirren der
letzten Jahre des zweiten Weltkrieges und der Vertreibung im tiefsten Bayern geblieben
und dort ansässig geworden.Mich hat das Reisen immer fasziniert.

Ja, eigentlich war das Fernweh Motor und Motiv für fast alle diese Geschichten und ist es bis heute geblieben. Bayern war damals wie ein fernes fremdes Land für mich und ich
platzte vor Neugier. Die Landschaft der Berge, die fremden Menschen mit ihrem seltsamen
Idiom, die endlosen Wiesen, die Höfe und das Vieh, die ungewohnten Gerüche –
das alles schlug mich in seinen Bann.

Bald schon hatte ich es heraus, die einheimische Mundart hinreichend nachzumachen und Onkel und Tante hatten ihren Spaß daran. „Mei, der Bub spricht scho, wie a richtiger Mensch“, riefen sie und erzählten mir gern und stolz von Land und Leuten.Unter ihren Erzählungen war auch eine Gruselgeschichte von hölzernen Wanderhütte irgendwo in den Bergen, die sie die „Scheitelhütte“ nannten. Scheiteln bedeutet so viel wie Holz hacken und es ging die Mär, dass in der Scheitelhütte einst ein Mann mit einer Axt ermordet worden sei. Seither könne man es in dunklen Nächten dort noch immer scheiteln hören.Meine Abenteuerlust war geweckt.

Das musste ich einfach selbst hören und möglichst dokumentieren, so wie es die Detektive in meinen Kinderbüchern getan haben würden. Onkel Friedl wusste, wo sich die Scheitelhütte befand. Es war indessen nicht eben leicht, meinen Vater zu einer
Übernachtung in einer abgelegenen Berghütte zu überreden, zumal es auch ein
ordentlicher Fußmarsch war bis dort hinauf. Onkel Friedl aber sprang mir bei, indem er die Vermutung äußerte, mein Vater hätte womöglich Angst. Das konnte dieser natürlich nicht auf sich sitzen lassen und so trabten Onkel, Vater und ich anderntags mit Taschenlampen, Proviant und einem vorsintflutlichen Tonbandgerät ausgestattet einen schmalen ausgetretenen Bergpfad entlang zur Scheitelhütte hinauf.Es war schon Abend als wir endlich ankamen.

Die Scheitelhütte war als Raststätte oder Notunterkunft für Bergwanderer eingerichtet, die
womöglich von schlechtem Wetter überrasch worden waren. Sie bestand aus einer kleinen Stube mit einem altmodischen, gusseisernen Ofen und einem überdachten Außenbereich, wo einige Holzscheite als Heizmaterial lagerten. Vor allem aber fand sich dort ein mächtiger Hackklotz, in dem wahrhaftig eine große, rostige Axt steckte. Ich wollte sie naiverweise auf Blutspuren des längst vergangenen Mordes untersuchen, schaffte es aber trotz einiger Anstrengung nicht, sie aus dem Hackklotz zu ziehen, in dem sie dem Rost nach zu urteilen schon seit Jahren stecken mochte.In der Stube fand sich eine einfache Bettstatt aus Holz und
eine große Pferdedecke. Nachdem wir uns notdürftig eingerichtet hatten, verließ
uns Onkel Friedl wieder und wir aßen hungrig unseren gesamten Proviant auf.
Vater machte Witze, dass doch wohl nun Friedl der große Feigling der Familie
sei und wir lachten herzlich darüber. Als es aber dunkelte und die Dämmerung
schließlich zur stockfinsteren Nacht wurde, war es uns auch nicht mehr
besonders wohl in unserer Haut, was natürlich niemand zugeben konnte.Es war eine mondlose Nacht und man konnte absolut nichts
sehen. In der Stille klangen die zahllosen ungewohnten Geräusche, die die
Nachttiere draußen machten, unnatürlich laut und ganz nah. Überall scharrte es
und die Trippelschritte der Mäuschen im Gebälk klangen wie das Nahen eines
großen Tieres.Wir konnten nicht schlafen, aber jeder tat so, als ob. Wir
machten sogar leise Schnarchgeräusche, um den anderen davon zu überzeugen, dass
wir tatsächlich die Ruhe selbst waren und einfach eingeschlafen waren.Irgendwann muss ich tatsächlich eingeschlummert sein, doch nur, um von einem lauten metallischen Krachen wieder hochgerissen zu werden.

Ein mächtiger Schlag war das gewesen, der in meinen Ohren nachhallte. Kein
Mäuschen, kein Trippeln. Nein. Das war etwas ganz anderes gewesen. Stark und
laut. Und vor allem ganz nah. Direkt nebenan. Draußen bei dem Hackklotz.Ein Bär. Mindestens. Oder etwas noch größeres. Vielleicht aber auch der geisterhafte Axtmörder.Ich fuhr hoch und fummelte nach der Taschenlampe. Sie hatte einen kleinen Kippschalter und als ich sie einschaltete, kam mir das leise Klicken so verräterisch laut vor, als wäre mir ein Eimer mit Blechbüchsen aus der Hand geglitten. Ich hielt den Atem an, aber kein weiteres Geräusch drang an mein Ohr.

Draußen war es totenstill. Nur mein Vater schnarchte leise vor sich hin. Diesmal schlief er wohl wirklich.Ich fand das Tonband und ging zur Tür, fand aber nicht den Mut, sie zu öffnen. Gott weiß, welche Wesen dann zu uns hereingedrungen wären. Ich versuchte, meinen Vater zu wecken, aber der knurrte nur und drehte sich nach der anderen Seite um.So saß ich im Licht der Taschenlampe wach und wartete auf den Morgen. Zum Glück begann es zu dämmern bevor die Batterien der kleinen Lampe nachließen.

Als die Sonne endlich über den nahen Bergkamm kletterte, erwachte Vater und fragte, ob ich gut geschlafen habe. „Ja“, sagte ich.Mehr sprachen wir an diesem Morgen nicht über die zurückliegende Nacht. Vielmehr wollten wir sofort zu Tal aufbrechen, da wir ja nichts mehr zum Essen hatten. Ein sehr vernünftiger Grund, die Scheitelhütte schnellstmöglich
zu verlassen. Eilig packten wir unsere wenigen Habseligkeiten zusammen und
brachen auf.

Als wir nach draußen kamen, warf ich noch einen Blick auf das
Holzlager mit dem Hackklotz und erstarrte. Die Axt steckte nicht mehr in dem
Klotz.Sie lag ein gutes Stück daneben und eine frisch glänzende
Stelle an ihrer verrosteten Klinge markierte den Teil, der in dem Klotz
gesteckt hatte.Wir ließen sie liegen und hasteten zu Tal. Der Rückweg ging
viel schneller als der Weg hinauf, aber es ging ja nun auch bergab.Unten angekommen erzählte ich Onkel Friedl von unserem Abenteuer und dem merkwürdigen Herausfallen der Axt, die ich tags zuvor nicht imstande gewesen war, herauszuziehen.

Er vermutete, dass es wohl diese Bemühungen gewesen sein müssen, die sie gelockert hatten, so dass sie unter dem Einfluss nächtlicher Temperaturschwankungen und dem Dehnungsverhalten des Holzes herausgefallen war. Sicherlich hatte er Recht, zumal Vater und ich es nie besser haben erklären können. Ich frage mich nur, wie sie dann hatte
meterweit von dem Klotz entfernt zu liegen kommen konnte. Noch dazu auf der
gegenüberliegenden Seite von der, in der sie gesteckt hatte.Das mögen aber wohl nur die Geister des Waldes und die Axtmörder wissen…

CC-BY-SA | Autor: DerDuke aus Berlin
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DerDuke
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DerDuke

Ich reise gern und hab es schon immer mit Vorliebe getan. Jetzt mit Ende 50 ist das noch kein bißchen anders. Und ich habe viele Geschichten erlebt, die ich zum Leidwesen meiner Freunde immer wieder gern erzähle. Die meisten sind lustig, aber manche sind auch gruselig...

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Lola

Ich finde die Geschichte cool. Aber sie war auch lustig.

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